2018
King Kongs Töchter wirken in Bischberg
als Chefdisponentinnen des Todes -
Balanceakt gelingt mit viel schwarzem Humor
Kritik von RÜDIGER KLEIN
Bischberg(-) Auch wenn die Gazetten in regelmäßigen Abständen immer wieder einmal von Todesengeln in Pflegerkleidung berichten müssen, es sind dann Patiententötungen weltweit doch nur spektakuläre Einzelfälle. Genau hinsehen sollten wir aber in jedem einzelnen Fall, wenn es um Leben und Tod geht.
Oberstes Gebot ist die Menschenwürde
Ausgerechnet eine Gesellschaft, die sich die Menschenwürde als oberste Maxime allen Handelns in die Verfassung geschrieben hat, sieht sich aber doch immer wieder mit Beispielen von Pflegenotstand und außerordentlichen Belastungs- und Krisensituationen für das Pflegepersonal konfrontiert. Es ist nichts gut in der Pflege – nur die Menschen, die sich tagtäglich und jede Nacht mühen, trotz schlechter Bezahlung und bei extremer Belastung ihre Aufgaben in der Pflege gewissenhaft und mit menschlicher Anteilnahme zum meistern.
Kann man dazu, zum Pflegenotstand und zur permanenten Überlastung des Personals, dann überhaupt ein Theaterstück schreiben? Eines, das mit viel schwarzem Humor durchsetzt ist, zumal? Theresia Walser, Schriftstellerin, Dramaturgin und Tochter eines berühmten Vaters, hat sich vor gut zwanzig Jahren daran gewagt. Die Pflegeversicherung war in Deutschland gerade einmal drei Jahre in Kraft, da wurde Theresia Walsers erstes Resümee unter dem Titel „King Kongs Töchter“ im Zürcher Theater am Neumarkt uraufgeführt. Der Text des Stückes wurde sogleich in alle Weltsprachen übersetzt und die damals noch junge Autorin war über Nacht aus dem Schatten des großen Vaters getreten.
Der Bühnentreff Bischberg hat in der Regie des Schauspieler-Ehepaares Heidi Lehnert und Benjamin Bochmann zuletzt die „schmerzhafte Komödie“ King Kongs Töchter von Theresia Walser auf die Bühne des örtlichen Bürgersaals gestellt – das mit Bravour und Erfolg.
Die Geschichte um die drei Pflegerinnen Berta, Carla und Meggie, die sich plakativ und dreist zu Chefdisponentinnen des Todes erklären, entgleitet den Laienschauspielerinnen und -schauspielern nicht, wenn dem Zuschauer auch mehr als einmal das Lachen im Halse stecken bleibt.
Erfahrungen in der Pflege
Theresia Walser wusste, als sie King Kongs Töchter geschrieben hat, aus eigener Anschauung, wovon sie schreibt. Und die Erfahrungen, die sie in der Pflege gemacht hat, wollte sie mit Theatermitteln unter die Leute bringen. Die Reichweite für das gerne verdrängte Thema schien ihr so viel größer als die eines einschlägigen Sachbuchs.
Die selbsternannten „Seniorendompteusen“ aus Walsers Stück werden in Bischberg von Heike Geißler, Ines Neumeister und Eva Baumüller gegeben. Ein ganz und gar packende Besetzung ist da gelungen. Geißler wächst in der Rolle der quirligen Berta über sich hinaus, Neumeister ist eine herrlich süß-naive und doch auch wieder eiskalt berechnende Meggie und Eva Baumüller gibt sich als Carla knisternd spröde und pragmatisch-korrekt bis in die Haarspitzen. Man nimmt den Schauspielrinnen ab, dass sie ihren Beruf, ihre Berufung lieben und doch als Niederlage empfinden. Wenigstens jedem ihrer Schutzbefohlenen wollen daher einmal zu einer Sternstunde von Glamour und Ruhm verhelfen. Wenn schon die Angehörigen sich nicht sonderlich um die im Seniorenheim gut verräumten Alten kümmern können oder wollen. Satire tut eben weh, Walsers Satire noch mehr.
Schrullen und Gemeinheiten
Die Bewohner dieses Seniorenheims nach der Spielidee von Walser sind auch keine Kinder von Traurigkeit. Gelacht und geneckt wird dort wie überall im Leben. Aber auch gestritten, geneidet, intrigiert und systematisch gequält. Die kleinen und großen Verbrechen, die Menschen aneinander verüben können, werden an Schrulligkeit und viel schwarzem Humor gebrochen. Nina Westphal-Stein ist eine prickelnd gezierte Frau Greti, Typ „alte Jungfer“. Frau Albert wird von Gerlinde Lamprecht als geschäftig-patente und immer noch mädchenhaft-verliebte Alte verkörpert, Frau Tormann alias Martina Baumann sieht man ihre Opferrolle von der ersten Sekunde weg an und Herr Nübel, bubenhaft frech von Reinhold Lauß gegeben, stellt sich als Herr mit dem großen N und dem kleinen Übel im Namen solange vor, bis die Zuschauer davonzulaufen drohen. Da hilft dann nur die Gemütsruhe von Herrn Albert (ein bestens disponiert Johannes Hoh), der die Störungen und Aufregungen im Heimalltag regelmäßig mit dem Hinweis kommentiert, dass Tumulte immer zur Unzeit aufträten: nämlich dann, wenn eigentlich das Essen kommen sollte oder der Kuchen. Da fehlt dann nur noch der „geile Alte“, den Christian Hümmer als Herr Pott gibt. Hümmer zieht da dann genüsslich alle Register der gängigen Klischees. Schließlich gerät Rolfi, ein Abenteurer in den besten Jahren, in diese makabere Seniorenheim-Idylle hinein. Er bricht Frau Gretis Herz und sich das Genick, als er bei der Reparatur einer Deckenlampe einen Stromschlag abbekommt, der ihn zu Tode stürzen lässt. Herrlich schmierig führt Stephan Schilling diesen etwas dubiosen Rolfi vor Augen.
Was dann doch alles geht, wenn Laiendarsteller von Profis zu Höchstleistungen geführt werden.
In Bischberg kann man das jeweils ab 19.30 Uhr noch einmal am kommenden Freitag, Samstag und Sonntag sehen.
2015
Letzter Wille
Kritik von Susanna Bauernfeind
„A weng Biedäd muss scho sei.“ Tatsächlich ist von Pietät anfangs viel zu sehen, die Trauer wird angemessen in schwarzer Kleidung und unter stilechten schwarzen Regenschirmen getragen – aber nur zur Schau, wie sich schnell herausstellt. Denn eigentlich tut es keinem der Verwandten wirklich leid um Tante Martha, eine allseitige Hoffnung auf die Erbschaft ist vielmehr Grund zur so gar nicht angebrachten Aufregung.
Dieser überreizte Zustand fast aller Figuren gibt das Tempo vor, in dem der Bühnentreff Bischberg die Komödie Letzter Wille von Fitzgerald Kusz durch das Untere Schloss toben lässt. Der ehrwürdige Spielort sorgt aufgrund seiner Symbolträchtigkeit für einen herrlichen Gegensatz und liefert dabei das perfekte Ambiente für die respektlose Farce. Wo man sonst in feierlicher Atmosphäre Ehen schließt und den Grundstein zur Familiengründung legt, wird nun auf äußerst amüsante und gleichzeitig schmerzhaft bösartige Weise gezeigt, dass man mit so mancher Verwandtschaft eben lieber nicht verwandt wäre. So streiten sich die Schwester der Verstorbenen, Olga, (Wilhelmine Häusler) und ihr Sohn Kurt (Stephan Schilling) schon bald erbittert mit dem Neffen Heinz (wunderbar skrupellos und gemein: Christian Hümmer) um jede Vase und die Abendgarderobe. Als „Bösewichte“ des Stücks versuchen sie nicht nur, sich gegenseitig zu übervorteilen, sondern treten die Würde der Toten mit Füßen und schikanieren ihre nächsten Angehörigen: Heinz' vernachlässigte Ehefrau (Nina Westphal-Stein) traut sich kaum den Mund aufzumachen, Kurts sexuell frustrierte Gemahlin Siggi ist die meiste Zeit des Stücks betrunken (Heike Geißler sorgt im knappen Outfit als torkelnde Dorf – Femme fatale für Knalleffekte auf der Bühne) und Olgas nervenkranke, verschüchterte Tochter Ursel (faszinierend wandlungsfähig: Eva Baumüller) äußert zwar immer mal wieder moralische Rügen, ist grundsätzlich aber die unmündig gehaltene Tochter einer kontrollsüchtigen Matriarchin.
Die besondere Stärke des Stücks ist dann auch nur auf den ersten Blick das tempomachende Wirrwar in der Erbfrage, bei genauerem Hinsehen ist es die psychologische Ebene, die für die tragikomischen Zwischentöne sorgt und ein Abrutschen in Plattitüden verhindert. Jede der drei unterdrückten Frauen befreit sich schließlich von der unterdrückenden Instanz in ihrem Leben. Diese Entwicklung hin zur Emanzipation ist in Heidi Lehnerts Inszenierung von Anfang an sichtbar, von Kostümwechseln bis hin zu klaren Arrangements der meist vielen Schauspieler und ihrer Beziehungen untereinander auf der kleinen Bühne. Auch bühnentechnisch ist diese Entwicklung zu sehen, denn über der gesamten Szenerie thront symbolisch das Porträt von Tante Martha. Ihr Geist überwacht vom Platz über dem Kamin aus jede Intrige und jede Demütigung unter ihren Angehörigen. Die zu Lebzeiten freigeistige und unabhängige Frau fungiert durch dieses auratische Medium in ihrem Haus als Vorbild und Schutzpatronin für die weiblichen Familienmitglieder.
Mit Letzter Wille bringt der Bühnentreff Bischberg ein Stück ins Untere Schloss, das derart viele Wechsel, Überraschungen und Witz bereithält, dass man bis zum verblüffenden Ende gespannt jede Wendung mitverfolgt. Die Gratwanderung zwischen Komödie mit Anspruch und plattem Schwank ist bei diesem Stoff, dem in tiefstem Fränkisch gelassenen Text und für ein Amateurtheater keine einfache – dem Bischberger Ensemble (Reinhold Lauß als charmant-schelmischer Hausmeister sowie Sebastian Stumpf als ehrenhafter Erbe seien noch erwähnt) und seiner Regisseurin ausgesprochen gut gelungen. Kein Moment wirkt peinlich, wenn auch oft provokant und – wie in guten Komödien so oft der Fall – ist das Lachen nicht selten eines, das einem im Halse stecken bleibt.